Alpiner Klassiker – Tofana di Rozes
Datum: 03.09.2018
Wer war dabei: Sebi, Kathi, Vali
Gipfel/Berggruppe: Dolomiten
Name der Tour: Tofana di Rozes, 2. Pfeiler S‑Wand „Pilastro“ (2820 m ü. NN)
Art der Tour: Alpinklettern/Alpiner Klassiker
Erstbegehung: Ettore Constantini und Romano Appolonio am xx.yy.1944
Tourenbeschreibung/ Schwierigkeitsgrad: ca. 450 m Wandhöhe, ca. 500 m Kletterlänge, ca. 18 SL, anhaltend 5 und 6, einige Stellen 6+/7‑, zweimal evtl. 7+/8- (?) oder kräftig A0/A1.
Zustieg: Zustieg von der Dibonahütte über bequemen Weg bis direkt zum Wandfuß, dort auf Band 20 m nach links zum Einstieg (ca. 3/4 h).
Abstieg vom Ausstieg nach links entlang der Steigspuren bis ein knallrot mit EXIT markierter Stein per Pfeil nach oben weist. Dann den roten Punkten mühsam bis in die Scharte folgen. Auf der anderen Seite runter bis man auf den Wanderweg zur Guissanihütte trifft. Ab dann Autopilot einschalten und ins Tal.
Absicherung: wechselhaft, aber ausreichend mit Schlaghaken unterschiedlichen Alters. Meist gut ergänzbar durch Cams, Keile und Schlingerl. Einzelne strategische bolts rund um zweites Dach und im Eselsrücken. Das übliche Sortiment Keile, Cams bis 3 evtl. 4, sowie ausreichend Schlingen, auch zum Verlängern, mitnehmen.
Christi Himmelfahrt ermöglicht ein verlängertes Wochenende, der Wetterbericht rät zur Destination Dolomiten. Trotz ferragosto machen wir uns Freitag abends auf den Weg Richtung Valparola. Eigentlich hatten Kathi und ich uns schon auf eine Zweieraktion, in dem zur Sommermitte zwangsläufig zu erwartendem Massenauflauf, eingestellt. Denn Vali meinte, er müsse noch irgendwas für seinen Master tun. Unseren Segen hätte er gehabt, es wäre auch beruhigend gewesen, dass selbst er mal die Notwendigkeit erkennt, etwas tun zu müssen. Aber wie so oft, mobilisiert er unter immensem Druck dann doch irgendwelche Reserven, macht Unmögliches möglich und jetzt sitzt auch er mit im Auto. Gut so. Der erwähnte Druck entstand ganz einfach durch meinen beiläufigen, gleichwohl gezielten Hinweis auf die Frage, was wir denn vorhätten, es sei Pilastrowetter angesagt. So einfach ist das manchmal.
Am Parkplatz und auf der alten Passstraße herrscht natürlich Vollversammlung. Wir finden trotzdem noch ein Plätzchen und nach einer Vesper respektive Marende geht es spät ins Bett.
Der erste Tag dient dem Einlaufen und vergeht an den Falzaregotürmen mit erst Comici, dann Dibona zwar nicht einsam, aber klassisch genüsslich in der Sonne und wie im Flug.
Nach dem TAB in der tiefstehenden Sonne rollen wir abends zur Dibonahütte. Dort am Parkplatz gibt es Nudeln und einen kostenfreien Blick auf unser Ziel für den nächsten Tag.
Zielblick
Die Belegungsdichte am Parkplatz lässt vermuten, dass wir an nächsten Tag nicht alleine sein werden. Wir wollen aber trotzdem nicht die ersten Seillängen mit Hirnbirn und Daune klettern, nur um die pole position zu markieren. Steinschlagträchtige Schotterrinnen sind im unteren Teil nicht zu erwarten und irgendwie wird man sich dann doch immer einig. Also gibt es menschenfreundliche Weckerstellung und halbwegs normales Frühstück.
Der Zustieg zu den Tofanapfeilern ist bekanntlich von höchst überschaubarer Länge, gemütlich zu begehen und gerade recht, um den Kreislauf etwas in Schwung zu bringen. Der Einstieg ist eigentlich auch nicht zu verfehlen. Erstens ist am Zustieg eine Art Marterl aus allerlei Überresten (u.a. von einer Gitarre), zweitens sind vor uns schon zwei Seilschaften am Werkeln und drittens ist der Routenverlauf auch ohne die Kollegen mehr als sonnenklar. Kurz gesagt: sogar wir finden uns zurecht.
Da es um diese morgendliche Uhrzeit am Wandfuß noch schattig ist, darf Kathi beginnen. Damit ihr warm wird und sie möglichst bald in die Sonne kommt. Denn wenn ihr kalt ist, haben wir nichts zu lachen. Das tun wir eigentlich schon gerne.
Mit dem üblichen Gerümpel behängt, startet sie in den Einstiegsriss und cruist dann leicht rechtshaltend dem Alteisen und weiteren Begehungsspuren folgend nach oben.
Das ist schonmal genüsslich und — kaum ist die Sonne da — richtig angenehm warm. Sogar Kathi schält sich aus dem Fleece und klemmt sich den folgenden, mit kleinen Überhängen gewürzten Riss weiter nach oben.
Mal mehr Verschneidungsartig, dann wieder mehr Riss, immer schön abwechslungsreich und nie trivial. Einfach grundgute Kletterei. Aber diese Einstiegsseillängen geben auch gleich den Tarif durch. Steil, guter Fels, prächtige und anhaltende Kletterei. Nicht unangenehm schwer, aber wer dort schon eiert, sollte sich angesichts der herben Stellen im darauf folgenden Mittelteil sein restliches Tagesprogramm gut überlegen und auf den Prüfstand stellen.
Grundgutes Klettern mit Blick auf den Mittelteil
Wir kommen auf das erste Band, da gibt es ein großes Loch im Berg. Zeit zum Blumengießen und Platz für eine kurze Rast. Die machen wir, denn wir müssen sowieso kurz warten, bis es weitergeht. Die Vorgänger sind noch rechtschaffen beschäftigt.
Bei dieser Gelegenheit sortieren wir auch etwas um, Vali wird nach vorne beordert. Es sollen Dächer kommen und er hat einfach die dicksten Oberarme. Kaum ist Platz, macht er, was er soll und startet durch. Zum Aufwärmen geht es erst noch gemächlich weiter, man sieht aber schon, dass es dabei nicht bleiben wird.
Warmlaufen mit Dach im Blick
Der Stand hat beste Dolomitenqualität und fordert den Heimwerker. Bombengesichert geht es frohgemut in den steilen Spass.
Am ersten Dach führt er den Gorilla spazieren und man sieht, wofür eine Klimmzugstange alles gut ist. Aber auch im Nachstieg will das gezogen sein. Selbst wenn man, wie ich, nicht nur den naturgegebenen Fels, sondern auch das vorgefertigte Schlingerlgewerk zur Hand nimmt. Dem Spaß ist das nur wenig abträglich, ich hab auch so genug zu Schnaufen und luftig ist es eh.
Auf diese brachiale Weise gut warmgelaufen, folgt die Verbindungslänge zum zweiten Dach. Eine sagenhaft steile Wandkletterei, immer leicht rechtshaltend ansteigend kommt genau da, wo man was braucht, doch noch ein gutes Grifflein daher. So wird es nicht richtig unangenehm, aber jeder Zug will geklettert sein. Da gibt es wenig Leerlauf, schlicht durchgehend gut.
In diesem Teil der Wand bewegt man sich überwiegend in gelbem Fels. Gelb ist in den Dolos gleich steil und auch gleich glatt. Meistens aber nicht gar so glatt, dass man sich nicht daran gewöhnen könnte.
Vor und in dem zweiten Dach ist diese Glätte jedoch unangenehm. Vom Stand weg muss man auf der von vielen verzweifelt scharrenden Füssen von glatt nach spiegelglatt polierten Rampe irgendwie ein paar Meter raufzittern und besser nicht runterschlittern. Sonst steht man nicht unter dem zweiten Dach und kann sich dort den Weiterweg zurechtlegen. Eigentlich ist es klar. Das, was man dort als Griff ausmachen kann, ist, sagen wir mal, ein sauglatter Aufleger und dort, wo man auf Reibung antreten soll, ist faktisch mit Gummiradierspuren markiertes aalglattes Geläuf. Und grundsätzlich braucht man schlicht an diversen Köperpartien ein einiges Mehr an Kraft und dann auch noch die nötige Körperspannung um dieses Mehr zusammen auf den Punkt zu bringen. Für den, der sowas mag, und sowas kann, ist es sicher das Höchste. Wenn er/sie nicht ins Grübeln kommt, denn dort steckt für den Freimover als hinterfragenswürdiges Sicherungsmittel, und für den Ottonormalkletterer als willkommener Griff, ein massiv winkeliges Eisenteil, dem sicher dieser Anwendungsbereich bei der Fertigung nicht in die Wiege gelegt wurde. Wir pfeifen auf das fehlende CE-Zeichen, es erfüllt seinen Fortbewegungszweck prächtig und der nächste Griff links oben ermöglicht auch uns wieder ehrenhafte Betätigung im gewachsenen Fels. Dieser führt zum zweiten Band.
Dach mit Alteisen und gelbem Hintern
Wieder Platz zum Stehen und Zeit für einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Das was jetzt kommt, dräut eindeutig und unmissverständlich herunter. Der sogenannte „Maultierrücken“, original „Schiena di Mulo“ was schon ein bisschen nach Schinden klingt, steht an. Viel besungen, viel geschmäht und gefürchtet, von niemandem als schön beschrieben. Aber es hilft nichts. Wer hier ist, muss da rauf. Zum Glück zeigt Vali noch keine Abnutzungserscheinungen, der Rest fordert nichts ein. Er stürzt sich grimmig ins Getümmel. Zunächst auch so, wie man sich das in einem Kamin dieser Art so vorgestellt. Stemmen, Spreizen, Drücken, Pressen, irgendwie geht es voran und nach oben.
Das Ganze sieht nicht extratrocken aus, aber nach dem, was wir mitgeteilt bekommen, passt das schon. Irgendwann kommt dann offensichtlich der Zeitpunkt, der Kamin nach links verlassen werden sollte, um ihn dann weiter oben wieder zu besuchen. Das scheint nicht ganz trivial zu sein. Wir hören Komisches und Deutliches von oben, was ich hier aber nicht wiedergeben möchte. Die von unserem Protagonisten gefundene Lösung sieht dann eher unkonventionell aus.
Ein veritabler Kopfklemmer und eine per Fußstoß ins Pendeln gebrachte und damit für Klippen erreichbar gemachte Zwischensicherungsschlinge lassen den Geräuschpegel schließlich abschwellen und öffnen den Weiterweg.
Bald darauf ist wohl der Stand erreicht und, zefix, wir müssen ran an den Speck. Im Nachstieg wird das Ding vielleicht sicherer, aber nicht schöner. Der grüne Belag auf den Fels macht die Sache nicht ästhetischer.
Irgendwie kommt man zwar hinauf, aber die gefühlte Menge an Körpereinsatz und Energie, die man dafür benötigt, ist hart an der Unverhältnismäßigkeit. Schwamm drüber, aber so leicht vergisst man sowas nicht. Über dem Schinder folgt Risskamin, wie man das gewohnt ist und man wird wieder versöhnlich gestimmt. Am Stand angekommen, hat Vali seine Schuldigkeit getan, jetzt darf ich den gemütlichen Rest übernehmen. Zunächst nette Risse und Verschneidungen, die, wenn man sich keinen dämlichen Seilzug durch Seillängenzusammenlegung baut, sicher reiner Genuss sind.
Und dann eine grandiose Genussquerung, bei der man den Tiefblick und das Panorama an Idealhenkeln so richtig auskosten kann.
Schließlich kommen wir in die Ausstiegsrinne, die keinen wesentlichen Widerstand mehr bietet. Bis hierher war es eine Prachtkletterei von durchwegs erlesener Qualität. Jede einzelne Seillänge bietet eindrucksvolle, schöne begeisternde Kletterei. Zweifelsohne Dolomiten D.O.C. mit Pausepunkt.
Lediglich diese letzten Längen in der Ausstiegsrinne können das Niveau nicht ganz halten: Aber dafür, was man da oft so in anderen Ausstiegsrinnen geboten bekommt, sind auch diese noch ganz oben anzusiedeln. Das letzte Mal waren wir hier seilfrei unterwegs, diesmal geht’s an der langen Leine nach oben, die kurzen Stellen, an denen man sich festhalten muss, machen eine Sicherung aber nicht unbedingt erforderlich. Am Sattel des Pfeilergipfels lässt sich das ganze Gewerk entspannt zusammenräumen, das obligatorische Foto wird gemacht und natürlich etwas Treibstoff nachgefüllt. Immerhin braucht man für den Abstieg braucht auch noch ein paar Körner.
Früher war das nicht so ein großer Akt. Aber seit die kläglichen Reste der ehemaligen Steiganlage auf dem Weltkrieg durch Bergstürze wohl noch kläglicher wurden, gibt es jetzt einen neuen, eindeutig als zu nehmend markierten Abstieg. Nur geht der erstmal nicht runter, sondern rauf, und das sowas von wie rauf. Wer bis jetzt noch nicht ins Schwitzen geraten ist, wird das hier bei entnervendem Schuttgestapfe und Bröselgetrete bis ganz hinauf in die Scharte mit Sicherheit.
In dieser angekommen, folgt dann hinten runter schottriges Schrofengeeiere, bis man endlich auf den Normalweg von der Tofana zur Guissanihütte trifft und das Ende zuverlässig naht.
An der Hütte gibt es einen Zwischenstopp für das obligatorische und durchaus wohlverdiente TAB.
Wer möchte, kann auch mehr davon zu sich nehmen. Denn das, was folgt, ist eher ein Wanderhighway und bietet auch mit getrübten Sinnen wenig Widerstand bis zum Parkplatz an der Dibonahütte, wo die ganze Sache ihren Anfang nahm. Gegen Ende kann man nochmal herrlich in die Wand schauen und gerade Geleistetes und Erlebtes Revue passieren lassen. Was wir natürlich tun. Aber nicht zu lange, denn schließlich ruft der Nudeltopf und der Magen knurrt.
P.S.: Gerüchtehalber und offensichtlich scheint der alte Steig, für diejenigen, die bereit sind, sich im Abstieg auf solche wackligen Sachen einzulassen, doch noch in einem überlebbaren Zustand zu sein. Das muss jeder mit sich selber ausmachen und sorgsam prüfen, wie er mit dieser Kunde umgeht.