Datum: 19.06.2013
Wer war dabei: Kathi, Sebi
Gipfel/Berggruppe: Totenkirchl/Wilder Kaiser
Name der Tour: West­wand „Dül­fer“
Art der Tour: Alpinklettern/Alpiner Klassiker
Erst­be­ge­hung: Hans Dül­fer und Wil­li von Redwitz,26.09.1913

facts: Ca. 600 m Wand­hö­he, ca. 750 m Klet­ter­län­ge, je nach Sicher­heits­be­dürf­nis im Zustieg insg. 14 –18 SL
Im Nasen­quer­gang Stel­le 6+/7-? bzw. 5+A0, sonst immer wie­der mal 5–6 und auch eini­ges leichter.
Zustieg von der Grie­se­nau zum Strip­sen­joch (1h), von dort wei­ter zum Beginn (1h) der Winklerschlucht.
Abstieg kra­xelnd und häu­fig absei­lend über den recht gut mar­kier­ten Füh­rer­weg (ca. 1 ‑2 h bis zum Stripsenjoch)
Absi­che­rung eher gut an gebohr­ten Stän­den und stra­te­gi­schen Zwi­schen­bolts, zusätz­lich eini­ge Nor­mal­ha­ken wech­seln­der Qua­li­tät. Ein Cam­sor­ti­ment, Kei­le und Schlin­gen hel­fen, die Zwi­schen­räu­me zu überbrücken

Alpi­ne Klassiker
Toten­kirchl West­wand –Dül­fer: quer der Nase nach

Der Wil­de Kai­ser ist ja nicht nur ein Klet­ter­pa­ra­dies son­dern für mich auch ein Stück Hei­mat. Seit mei­ner frü­hen Jugend habe ich hier in zuneh­mend stei­le­rem Gelän­de viel Zeit und Urlaub ver­bracht. An den anhei­meln­den Namen kann es jedoch kaum lie­gen, dass ich mich hier so gebor­gen füh­le. Zwi­schen Pre­digt­stuhl und Toten­kirchl ist da näm­lich immer noch Platz für eine Fleisch­bank. Na lecker. Wir gehen dies­malz­um Toten­kirchl, da weiß man wenigs­tens end­gül­tig, wor­an man ist.

Die West­wand des Toten­kirchl wur­de von Hans Dül­fer und Wil­li von Red­witz am 26.09.1913 erst­be­gan­gen. Zur dama­li­gen Zeit eine veri­ta­ble Großtat.
Vor der Erst­be­ge­hung hat sich Meis­ter Dül­fer über die Wand abge­seilt, um sich einen Ein­druck zu ver­schaf­fen, was ihn so erwar­tet. Wenn man sich das Mate­ri­al und den zeit­ge­mä­ßen Kennt­nis­stand vor Augen führt, wird schnell klar, dass er auch dabei nicht unter man­geln­dem Selbst­ver­trau­en litt.
Die­ses wur­de ihm wohl nicht gleich in die Wie­ge gelegt, in der er am 23. Mai 1892 in Bar­men vul­go Wup­per­tal sei­ne ers­ten Schrei­ver­su­che unter­nahm. Aber irgend­wann in dem Zwi­schen­raum bis 2011 muss es wohl pas­siert sein, als er in Mün­chen zunächst Medi­zin, dann Jura und zuletzt Phi­lo­so­phie zu stu­die­ren begann. Ob die Moti­va­ti­on für die­se Wech­sel der Stu­di­en­gän­ge in der Hoff­nung auf zuneh­men­der poten­ti­el­ler Frei­zeit für das Klet­tern begrün­det war, ist wohl nicht ein­deu­tig belegt. Die 50 Erst­be­ge­hun­gen inner­halb von vier Jah­ren aber schon. Die sicher­lich noch viel mehr gewor­den wären, wen­ner nicht am 15. Juni 1915 bei Arras in Nord­frank­reich dem sinn­lo­sen gegen­sei­ti­gen Mas­sen­ab­schlach­ten des 1. Welt­krie­ges zum Opfer gefal­len wäre.
Das ist zum Glück in unse­ren Gefil­den Geschich­te und so kön­nen wir unse­re Zeit, das Welt­ge­sche­hen ver­drän­gend, erquick­li­che­ren Din­gen widmen.

Zum Bei­spiel der Dül­fer-West. Im Kai­ser gibt es noch eine Dül­fer-West und zwar am Pre­digt­stuhl. Die ist zwar eben­falls ganz schön, aber deut­lich kür­zer und vor allem leich­ter. Nicht des­to­trotz muss auch die jeder schon mal gemacht haben. Und da man einen guten Vie­rer auch ohne aus­ge­feil­ten Trai­nings­plan schon mal klet­tern kann, bzw. das zumin­dest meint, geht es da manch­mal auch recht zu. Dass es mit den rei­nen klet­ter­tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten nicht getan ist, merkt man dann schnell an der Men­ge fal­len­der Stei­ne und wack­li­ger Knie im schrofi­gen Zustieg, beim zeit­rau­ben­den Bas­teln mobi­ler Siche­rungs­ver­su­che in der Tour und beim epi­schläng­li­chen Abseil­wursch­teln im Bot­zong­ka­min. Doch davon soll hier nicht die Rede sein, son­dern von der Dül­fer-West, die alle, die davon wis­sen, zunächst mei­nen, wenn der Name fällt.

Recht früh geht es in Mün­chen los, damit es immer noch früh ist, um loszugehen.Weil wir am Weg von der Gries­ner Alm zum Strip­sen­joch weder am Stich nach dem Wald, noch am Egger­steig kurz vor der Hüt­te links abge­bo­gen sind, geht es die­ses frü­hen Mor­gens also mal nicht in die Stei­ner­ne Rin­ne. Son­dern, oben am Joch ange­langt, hin­ten Rich­tung Kai­ser­tal wie­der her­un­ter, um dann end­lich doch nach links in den Hohen Win­kel abzu­bie­gen, wo es natür­lich das Gan­ze und noch viel mehr wie­der rauf geht. Für Grund­er­wär­mung ist also gesorgt.
Das scha­det nicht, denn in der sowie­so immer klam­men Wink­ler­schlucht liegt meist noch eini­ges an Halbgefrorenem.

Soft­eis in der Winklerschlucht

Bevor wir das uns zu Gemü­te füh­ren, wird Unver­meid­li­ches erle­digt, solan­ge es noch eben­erdig geht. Eine gel­be Rübe wird auch noch mit ein­paar Schlü­cken Was­ser her­un­ter­ge­spült und dann klei­den wir uns so, wie wir es dem Anlass ent­spre­chend für ange­mes­sen hal­ten. Das Seil bleibt aber erst­mal am Rücken. Wer sich in ent­spre­chen­dem Gelän­de viel­leicht nicht immer wohl, zumin­dest aber immer sicher fühlt, spart damit eini­ges an Zeit. Im übli­chen Schlucht­ger­amp­fe geht es hin­auf, bis man nach sin­ni­ger­wei­se recht­zei­tig links auf eine Art Rip­pe aus­quert. Den rich­ti­gen Zeit­punkt dafür zu tref­fen, bedarf es einer gewis­sen Min­dest­grö­ße an alpi­ner Spür­na­se. Wer das ver­passt, muss wie­der run­ter oder lan­det gene­rell wo anders.
Die ers­ten knapp 4 offi­zi­el­len Seil­län­gen geht es für uns in die­sem Stil wei­ter, bis wir uns schließ­lich eini­ger­ma­ßen bequem an einem klei­nen Absatz ein­bin­den und das Schuh­werk wech­seln kön­nen. Da tref­fen wir dann auch auf drei ande­re Gesel­len, die in der Tour bereits län­ger am Wer­keln sind. Sie las­sen uns aber in sou­ve­rä­ner Selbst­er­kennt­nis gleich den Vor­tritt, was uns freut und wofür wir uns brav bedan­ken. Um sie nicht län­ger auf­zu­hal­ten als not­wen­dig, mache ich mich hur­tig ans Werk, ver­schwin­de nach oben und hole Kathi geschwind nach. Die kann sich sogleich an die ers­te ernst­zu­neh­men­de Stel­le machen, einen Quer­gang, wie soll es anders sein. Der führt aus­neh­mend präch­tig und foto­gen nach rechts.

Kathi im foto­ge­nen Rechtsgebastel

Nach die­ser fili­gra­nen Ein­la­ge zie­he ich noch ein biss­chen wei­ter in die­se Rich­tung, bis es wie­der auf­wärts geht. Klas­si­sches Gelän­de mit der Wit­te­rung für den stim­mig leich­tes­ten, logi­schen Weg in der Nase. Genau so, wie es sein soll.

Kathi folgt der Logik nach oben

Nach der nächs­ten Seil­län­ge hat die Logik eine klei­ne Unter­bre­chung, rund­her­um sieht es glatt und über­hän­gend aus. Zur Über­win­dung die­ser unüber­wind­lich erschei­nen­den Stel­le bewies Hans Dül­fer mal wie­der sein fei­nes Näs­chen für den bes­ten Wei­ter­weg und bemüh­te auch hier den Trick eines Seil­quer­gangs. Berühmt hat er die­sen schon ein biss­chen vor­her gemacht, als er die lang­berann­te Ost­wand der Fleisch­bank (eben da im Kai­ser, Anm. d. Verf.) als Ers­ter voll­stän­dig durch­stieg. Unter ande­rem dadurch, dass er in die­ser Füh­re den ers­ten heik­len Links­quer­gang mit Hil­fe eines schräg­wack­li­gen Absei­lens, natür­lich im Dül­fer­sitz, über­lis­te­te. Aber erfun­den hat er ihn nicht, den Seil­quer­gang. Auch nicht die Schwei­zer. Denn schon in einem viel­ver­spre­chen­den Ver­such an die­ser Fleisch­bank Ost­wand waren 1910 „Ram­bo“ Otto Her­zog und Adolf Deye genau auf die­se Wei­se über die Schlüs­sel­stel­le des ers­ten Quer­gangs gekom­men. Die­ser Otto Her­zog hat damals nicht nur schon mit­ge­hol­fen, den Buchen­hain für uns glatt­zu­po­lie­ren, son­dern vor allem auch die gran­dio­se Idee gehabt, die für ande­re Zwe­cke bereits ver­wen­de­ten Kara­bi­ner für das Berg­stei­gen her­zu­neh­men. Und Seil­quer­gän­ge zu machen. Vie­len Dank dafür.
Und vie­len Dank an Herrn Dül­fer für die Fer­tig­stel­lung seiner„Dülfer Ost“, wie sie mitt­ler­wei­le gemein­hin genannt wird. Auch wenn sich der Seil­quer­gang mit heu­ti­gen Gum­mi­pat­schen und Klemm­ma­te­ri­al als ver­gleichs­wei­se zah­mer Sech­ser ergibt. Aber wir sind ja in der „Dül­fer West“ unter­wegs und das macht im Gesamt­an­spruch schon noch mal einen deut­li­chen Unter­schied. Auch in den jewei­li­gen Quer­gän­gen. Hier hat der Seil­quer­gang sogar einen Namen, näm­lich „Nasenquergang“.Und ist etwas trick­rei­cher zu über­lis­ten, ganz gleich ob mit Seil oder frei­schwe­bend. Für bei­de Stil­va­ri­an­ten beru­higt mitt­ler­wei­le stra­te­gisch güns­tig plat­ziert ein veri­ta­bler Bolt die Ner­ven. Und damit der nicht unnö­tig da ist, tes­te ich die­sen auch sogleich aus. Etwas zu hoch begon­nen-Fix­noch­mal, bolt­be­ru­higt kon­zen­tra­ti­ons­arm nicht auf­ge­passt, ver­geb­lich auf das Mate­ri­al gehofft und letzt­lich zu Recht auf Kathis Siche­rungs­kön­nen am Tuber (ogot­to­got­to­lam­mel) gebaut. Zack­bumm wie­der zurück auf Los. Im zwei­ten Ver­such geht es sou­ve­rä­ner, mei­o­mei. In einem Rutsch drü­ber und mit ein paar kräf­ti­gen Zügen zum Stand nach oben. Kathi folgt in ruhi­ger Ste­her­ma­nier und wür­digt die grau­sig abge­speck­ten, geschla­ge­nen Trit­te, die schon seit ewi­gen Zei­ten in ver­werf­li­cher Wei­se den Kai­ser­fels an der Nase ent­wür­di­gen, stan­des­ge­mäß durch Missachtung.

Kathi durch­steht die Nase

AmStand über­nimmt sie mil­de lächelnd und kein Salz in die offe­ne Wun­de streu­end das not­wen­di­ge Mate­ri­al, damit sie sogleich für die nächs­te Seil­län­ge die links auf­wärts füh­ren­de Vor­wärts­be­we­gung am schar­fen Ende voll­zie­hen kann.

Kathi in der Vor- und Aufwärtsbewegung

Gut so, dass sie die Ruhe selbst ist, denn die eigent­li­che Bewäh­rungs­pro­be steht ihr schließ­lich noch bevor. Die Quer­gän­ge sind noch nicht zu Ende, der Schlucht­quer­gang steht bevor. Hier hat der Sei­lers­te, und damit ich, den Vor­teil, dass man die kniff­li­gen Stel­len abklet­tern darf. Und damit für den Vor­stei­ger das Seil erst­mal von oben kommt, bis er sich mit grau­si­gem Seil­zug anfreun­den soll­te. Für den Nach­stei­ger dann halt nicht so rich­tig. Man kann zwar ver­su­chen das Pen­del­po­ten­ti­al durch aus­ge­klü­gel­te Seil­füh­rung und häu­fi­ges Klip­pen des vor­han­de­nen Alpin­schrotts zu mini­mie­ren, aber das geht natür­lich nur in gewis­sen Gren­zen. Aber es hilft nichts, hel­fen tut ein­fach nur machen.

Kathi machts ein­fach im Schluchtquergang

Da man nun in einer Schlucht ist und wir nicht beim Can­yo­ning, geht es auch mal wie­der rauf und das tun wir natür­lich. Schließ­lich wol­len wir auch mal nach oben.

Kathi schluch­telt nach oben

Man soll­te sich jedoch nicht zu früh freu­en, denn kurz dar­auf geht es wie­der quer. Zunächst noch lieb­lich mit Gras­pols­tern und Blüm­chen.

Kathi mit Blümchen

Dann kräf­ti­ger, weil über­hän­gend. Dafür mit etwas Aufwärtstrend.

Kathi im Aufwärtstrend

Und wie es sich für einen Klas­si­ker so gehört, kom­men jetzt die Aus­stiegs­ris­se und ‑rin­nen. Und wie es sich so rich­tig für einen Klas­si­ker gehört, sind die weder geschenkt, noch ent­span­nend, wie es die aus­ge­ge­be­nen Gra­de ver­mu­ten las­sen könn­ten.

Kathi grinst, weil der Riss unter ihr liegt

Was nicht hei­ßen soll, dass man nicht wei­ter­hin in aus­neh­mend unter­halt­sa­men Gelän­de unter­wegs ist. Aber da man nach Ver­las­sen der Wink­ler­schlucht in der Regel der Son­nen­be­strah­lung aus­ge­setzt ist, natür­lich nur wenn sie scheint, und unab­hän­gig von der Wet­ter­la­ge auf jeden Fall schon eini­ge Zeit unter­wegs ist, kommt eine gewis­se ange­trock­ne­te Grun­der­mü­dung ger­ne mal hin­zu.

Kathi genießt den son­nig­tro­cke­nen Ausstiegsfels

Aber wäre es nicht so, wie es ist, wäre es nicht so schön. Am Schöns­ten ist es natür­lich, wenn man oben ist und die Schu­he aus­zie­hen kann. Treff­lich gesi­chert an einem Häk­chen aus dem Werftbedarf.

Kathi freut sich an den baren Füßen

Und am Aller­schöns­ten, wenn man ganz oben ist und die Schu­he end­gül­tig aus­zie­hen kann.

Ganz oben mit aus

Über die Freu­de dar­über soll­te man nicht ver­ges­sen, dass man auch noch run­ter muss. Das dau­ert ein biss­chen, ist etwas ver­wi­ckelt und mit Abklet­tern, Absei­len und dem übli­chen Stein und ggf. Schnee­ge­rüm­pel abwechs­lungs­reich gar­niert. Immer­hin mitt­ler­wei­le gut mar­kiert und ein­ge­rich­tet, das hilft ver­stopf­ten Spür­na­sen bei der Rou­ten­fin­dung. Beim Abstieg darf man präch­ti­ge Aus­bli­cke genie­ßen und z.B. die Füh­rer­na­deln bewundern.

wun­der­ba­re Führernadeln

Und mit jedem dazu­ge­won­ne­nen Baro­me­ter­strich dar­über freu­en, dass ein Ende immer mehr in Sicht kommt.

das Ende naht

Wer nicht auf der Strips hau­siert, darf sich natür­lich­nicht zu früh freu­en, denn er muss erst noch die Höhen-und Län­gen­me­ter zur Gries­ner Alm ver­nich­ten. Mal auf brauch­ba­rem Weg, mal auf ent­ner­vend schott­ri­gem Geläuf. Das ken­nen wir zwar schon vom frü­hen Mor­gen, haben es aber erfolg­reich ver­drängt. Das stei­gert mit jedem Schritt die Freu­de dar­auf, wo es am Aller­al­ler­schöns­ten ist, näm­lich unten beim TAB.

Aller­al­ler­schöns­tes TAB