Facts: Meije Südwand, Allain-Leininger;
Erstbegeher: Pierre Allain, Leininger 1952 (VIbzw. VI/AO);
20 oder mehr Sl, ca. 800 mWandhöhe + Zustieg;
Material: Keile & Cams, Schlingen, Pickel, Steigeisen und Alles was sonst noch so dazu gehört
Es gibt so Berge, die schauen nicht nur aus, sondern prägen sich auch ein. Mir jedenfalls. Die Meije ist so ein Berg. Und eine Königin dazu. Gut schaut sie aus, von vorne, wie von hinten. Begehrenswert von allen Seiten und zu jeder Jahreszeit. In welcher Disziplin auch immer. Also nichts wie ran. So einfach ist das aber oftmals nicht. Da wär erstmal die Anreise. Die dauert. Selbst wenn man, wie wir, in Chamonix Zwischenhalt macht und sich dort mit schönen Dingen die Zwischenzeit vertreibt. Auch von dort darf man immer noch ganz schön weiterfahren. Das hat man halt davon, wenn man im Dunstkreis des besten Klettervereins der besten Biermetropole wohnt und dahin will, wo es auch schön oder vielleicht sogar noch schöner ist. Machen wir es kurz und beginnen mit der Ankunft am Parkplatz von La Berarde. Man steigt aus, streckt sich, atmet die wunderbare Luft der Dauphiné, wie diesen Gebirgszug ausschließlich der Teutone nennt, und gibt sich dem zwar gewaltigen, jedoch maximal unaufgeregten Ambiente hin. Tisch und Stühle werden ausgepackt, Nudelparty in Gang gesetzt, ein passendes Getränk entkorkt. Und noch eines. Dann folgt noch Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett.

Nach einem fürstlichen Frühstück mit frischen Spezereien aus dem einzig einschlägigen, örtlichen und inhabergeführten Einzelhandel (max. 5m² Verkaufsfläche) wird in der warmen Sonne das Material sortiert.Im Hintergrund rauscht der Vénéon, in dem lustig die Bummerl kollern und auch unsere Stimmung ist prächtig. Schließlich geht es los. Die Sonne ist wärmer, die Hosen kürzer und der Rucksack leider wie immer bei solchen Sachen. Die erste Steilstufe treibt den Schweiß aus den Poren und manchen nochmal Erleichterung suchend in das Gebüsch.

Dann geht es gemächlich ein wunderschönes Flusstal hinauf.Die Lilien blühen, der Steinbrech auch.

Langsamwird es karger und langsam steiler, den Refuge Chatelleret lassen wir links bzw. rechts liegen und widmen uns dem lange schon im Blickfeld liegenden und mindestens genauso lange verdrängten Moränenrücken. Einiges drüber blitzt schon die Blechschachtel des Tagesziels im Sonnenlicht. So weit sind wir leider noch nicht, erst einmal steht besagter Rücken im Weg. Dieser ist ein erlesen ermüdender Meister seiner Zunft, in gerade so unangenehmer Steilheit und Länge, dass einem sogar Flüche im Hals stecken bleiben und der Schweiß den Blick auf die zweifelsfrei grandiose Aussicht verschleiert. Da hilft es auch wenig, dass wir immer noch die Turnschuhe anhaben, denn die für oben obligaten Bergeimer drücken dafür auf den Schulterträgern. Kaum haben wir das Schwein unter uns, dürfen wir das Schuhwerk wechseln, es beginnt die Schneewelt. Günstigerweise gut aufgefirnt, Eisen und Hacken können wir uns sparen, weiter tragen dürfen wir diese natürlich.

Einmal rum ums Eck, nach rechts an die Felsen und rauf zur Hütte, die uns gleich mit einem Spender mit Desinfektionsmittel begrüßt. Ja genau, fast schon vergessen, wir haben noch Coronazeit mit Kontaktbeschränkungen, Maskenzwang und vollem pipapo. Aber auf der Alm, da gibt’s koa Sünd, somit war es mit dem Spender auch genug mit Gedöns. Auf der Terrasse scheint die Sonne und in der Hüttenschachtel ist die Welt sowieso in Ordnung. Es gibt ein Lager, Bier, was zum Essen und eine ausgesprochen nette Wirtin. Wir nehmen all das wohlwollend in Anspruch, einigen uns auf die Frühstückszeit, sprechen uns kurz mit der einzigen Seilschaft ab, die mit uns dasselbe Ziel teilen möchte (immerhin würdige Alpinaktive einer namhaft webaktiven Thaurer Vereinigung) und klären die morgige Aufteilung. Diese ergibt sich aus den faktischen Zwängen. Die einen mögen sich zu sehr, um voneinander zu lassen. Die anderen bleiben übrig. Also geht Kathi mit Vali, Christoph muss sich in sein Schicksal fügen und mit der Resterampe Vorlieb nehmen. Früh geht’s ins Bett, weil früh wieder hinaus. Der Tag beginnt noch dunkel, ein kurzes Frühstück, anschirren und dann den Sack geschultert. Draußen ist es frisch, der Atem dampft im Lampenlicht. Erst kurz die Felsen raufgekraxelt bis in eine Scharte, diese etwas runtergeschottert und schon gibt es ein Schlingenbündel, das man eindeutig als Abseilstelle bewerten kann. Seile geworfen und runter in den grausig finsteren Schlund an einem weiteren Schlingenbündel vorbei. Ums Arschlecken reicht das Seil gerade so bis fast zum ersehnten Boden, es wird klar, wofür das zweite Bündel gedacht gewesen wäre. Auf dem unnachgiebigen Schrund sind gleich die Eisen angesagt.

Der Firn ist hart und das Feld bis zum Einstieg genau so lang und steil, dass einem richtig warm wird. Zwischendrin darf man sich entscheiden, wo denn nun der Einstieg wirklich ist. Wir beginnen eher etwas links, aber vielleicht ist es auch ein bisschen egal, denn raufkommen tut man da sicher an vielen Stellen. Hauptsache man kommt über den Schrund. Wir sind früh im Jahr, da bieten sich noch ausreichend Möglichkeiten. Der Fels ist zunächst noch etwas steiler, wir nehmen ihn angeseilt in Angriff. Im trockenen und schneefreien Fauteuil wird’s dann wieder flacher, da liegt unser Seil in Schlaufen um die Schulter. Irgendwann geht es dann erkennbar los und auf einem Band können wir uns sortieren und einen ersten Schluck aus der Flasche nehmen. Unsere Mitbewerber rauschen seillos vorbei, ab und zu werden wir uns aber nochmal sehen. Die Kletterei geht einfach vor sich hin, angenehm und gerade so geführig, dass man in einen Fluss kommen kann. Die Stimmung steigt weiter, als uns die Sonne erreicht und wesentlich zum Wohlbefinden beträgt.

Schließlich ziehen die Schwierigkeiten doch etwas an, es darf schon auch mal ordentlich hingelangt werden. Der Sack und die Höhe tun das Ihrige dazu. In Rissen und Kaminen darf man Erfahrungen abrufen und nicht alles was locker ist, ist fest.

Der berüchtigte grüne Kamin ist zum Glück weitgehend trocken und nach meiner Meinung nicht so brüchig, wie oft beschrieben. Aber vielleicht hab ich einfach auch nur daneben gelangt. Zu sicher sein darf man sich natürlich bei nichts, immerhin sind wir in der Dauphiné und nicht im Yosemite. Vor allem nach dem besagten Kamin, da sollte man nichts purzeln lassen, auf gar keinen Fall, wenn drunter noch welche sind. Wir schaffen das. Tragischerweise leider nicht Alle.

Und schon sind wir auf dem vire bicyclette. Zum Ausbüxen haben wir keine Lust, Fahrrad haben wir auch nicht dabei und Zeit ist genug, wir gehen also weiter.

Ein erstaunlich diffiziler Quergang nach rechts prägt sich noch ein, dann geht es erst rechtshaltend, dann linkshaltend eine Rinne bis zu einer Scharte, wo sich der Blick etwas weiten kann.

Anderes weitet sich offensichtlich auch, ich muss am Stand warten bis Christoph sich unten dessen entledigt hat. Entsprechend erleichtert ziehen wir zügig dem etwas umwölkten Gipfel entgegen.

Dort erwarten uns schon Kathi und Vali sehnsuchtsvoll am hölzernen Betbruder. Wir gesellen uns dazu, die Aussicht ist prächtig, die Stimmung gut und die Tour bis dahin schon mal allererste Klasse. Und auf dem Gipfel der Königin zu stehen sowieso unbezahlbar.

Oben ist wie immer nur die halbe Miete, der Rest wird nach der obligatorischen Gipfelvesper fällig. Während wir noch kauen, schauen die anderen Beiden nach dem rechten Weg zur ersten Abseilstelle.

Wir kommennach und werkeln uns gemeinsam nach unten.

Am Glacier Carré ist dann wieder Eisenzeit angesagt, auch wenn er sich im Nachhinein betrachtet als äußerst zahm und trittfreundlich erweist. Später im Jahr ist er mittlerweile, auch aufgrund der Steinschlagexposition, ein ernsthaftes bis definitives Besteigungshindernis. Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort und freuen uns an den Wolkenstimmungen.

Hat der Schnee ein Ende, gibt es wieder Fels. Wir orientieren uns Richtung Pyramide Duhamel und wenn man die durchaus vorhandenen Abseilbolzen als solche wirklich hernimmt, kommt man auch zügig in diese Richtung runter.

Dann ist erstmal wieder Suchen angesagt. Ganz frisch sind wir auch nicht mehr, das trübt den Blick in der Abendsonne. Aber schließlich finden wir dann doch die Abseilpiste runter zum Gletscher. Erst etwas nervig halbsteil mit Seilentwirrungseinlagen. Zum Schluss spektakulär freihängend bis zum wohltuenden Glacier des Étançons. Während die Einen Seile verpuppen, dürfen die Anderen schon mal im letzten Licht Richtung Hütte spurten. Dort ist natürlich bereits Bettruhe angesagt, praktischerweise lagert das Bier jedoch in greifbarer Nähe. Was wir nur zu gerne nutzen.Der nächste Tag beginnt gemächlich prächtig mit einem entspannten Frühstück und privilegiertemBlick auf den Talnebel.

Am Ende hilft es nichts. Schönheit ist gut und schön, aber unten wartet die Wirtschaft und die restlichen freien Tage wollen schließlich auch noch würdig genutzt werden. Kurz ganz wichtige Gewichtsoptimierung, dann geht es ans Packen.

Vor dem endgültigen Aufsatteln kommtdie Rechnung inklusive Spätbier und vor Allem ein herzlicher Abschied von der noch herzlicheren Gastgeberin. Wenn sich der Aufstieg schon zieht, wird es im Abstieg meist nicht besser. Insbesondere wenn man an seinem Turnschuhversteck vorbeirumpelt, nur um nach bitterer Erkenntnis des fehlerhaften Tuns sich einem Wiederanstieg widmen zu dürfen. Seisdrum, unten ist unten und unten gibt es Kneipen. Aber oben ist auch nur oben oben. Und zwischendrin gehört einfach dazu. Was ein königinliches Vergnügen.

Im Nachgang: Informierte Lesende merken gleich, das ist jetzt alles ein bisschen her. Nicht nur wegen der erwähnten Coronawirren, sondern vor Allem auch, weil La Berarde als Ausgangpunkt gewählt werden konnte. Das ist leider seit in der Nacht vom 20. Auf den 21. Juni 2024 eine verheerende Schlammlawine den Ort fast vollständig zerstörte, erst einmal Geschichte. Die Häuser sind weiterhinnicht bewohnbar, der Ort auf der Straße unerreichbar. Eine Katastrophe für die Einwohner, ein herber Verlust für diejenigen, die diesen einzigartigen Fleck lieben gelernt haben. Alle die aktuell (Stand 2025) zur Promontoire wollen, müssen von La Grave aus über die Breche de la Meije einen veritabel anspruchsvollen Tourentag einplanen. Ob es dann nach dem Gipfel Sinn macht, wieder zur Hütte zurückzukehren, ob es für Fähige sinnvoller ist, noch die Überschreitung zur Refuge de l’Aigle anzuhängen, oder welche Möglichkeiten sich sonst noch bieten, mögen Alle in tiefer Selbstreflexion prüfen.