Facts: Hohes Dirndl Südkante, Maixkante;
Erstbegeher: Kurt Maix, Wolfgang Höfler 9.9.1929 (VI);
22Sl, ca. 700 m Kantenhöhe + Zustieg;
Material: Expressen, Schlingen, ggf. ein paar Notkeile. Im Wesentlichen Eingebohrt. evtl.Pickel, Steigeisen für Zustieg
Mit dem Jörg bin ich nun schon echt lange immer wieder unterwegs. Kein Wunder, denn er war eines der ersten IG-Mitglieder, hat mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen egoistische Interessen (Kraxeln) mit hochlobenswerten Aufgaben (Familie, Arbeit, Steuerzahler) zu vereinbaren und außerdem ist er Sachse. Das spricht für Resilienz gegenüber hakenarmen Gelände, Affinität für Klassisches mit Gipfel, ausreichende Leidensfähigkeit und Trinkfestigkeit.Wie bereits erwähnt, funktioniert das auf dieser Basis seit Längerem. Trotz Dialekt. Einige Zeit lang ist sich jetzt keine würdige Tour mehr ausgegangen. Mal warens Wehwehchen, mal Zwangsarbeit, Familienpflichten oder versetzte Urlaube. Aber wenn man dran bleibt, klappt es dann doch. Auch wenn die Protagonisten nicht im Idealzustand sind. Jörg kommt gerade erst wieder auf die Füße und ich entferne mich zusehends von denselbigen, sprich mein Fahrwerk steht kurz vor der Runderneuerung. Egal, das Wetter ist gut, die Laune auch, aufgeht’s Richtung Dachstein.

Am Parkplatz der Dachsteinbahn präsentiert sich ein prächtiges Panorama und das Objekt unserer Begierde hüllt nicht mal, wie die anderen Gesellen, ihr Haupt in Wolken. Die Kante, die wir uns ausgespechtet haben, führt offensichtlich schnurstracks bis ganz oben. Soweit, so gut, der Plan steht, nun müssen wir uns um Naheliegendes kümmern. Wir packen die Säcke für den folgenden Tag und für heute hat Jörg noch heimatlichen Hopfensud am Start. Da müssen natürlich auch Stühle her und der Sonnenuntergang macht den Rest.

Kaum hat sich das Zentralgestirn am Horizont verabschiedet, wird es kalt, schließlich sind wir nicht auf Meereshöhe.Wir begeben uns nach drinnen. In der Blechhülle ist es gemütlich und was zum Essen gibt es auch. Schließlich einigen wir uns auf einen zeitigen Aufbruch und kriechen in die Säcke. Immerhin ist man doch Einiges unterwegs und eine Spitzenzeit werden wir in unserem aktuellen Zustand nicht in die Felsen trommeln können.
Früh, wie beschlossen, geht es raus. Aber ohne Kaffee nicht los. Der wird gekocht und bringt den Geist auf Jetztzeit. Vielleicht nicht ganz, denn beim ersten Anstieg fällt mir ein, dass man ein Auto auch zusperren kann und vielleicht sollte. Also nochmal zurück und erledigen. Das Lampenlicht erhellt zunächst den Weg und nimmt den Wurzeln ihre Heimtücke. An der Südwandhütte ist dann schon Tag und wir können in den dahinter liegenden Talkessel einschwenken. In diesem kann der ganze Wandfuß bewundert werden. Darüber leuchten in der Morgensonne schon die Gipfel.

Weil es gar so schön ist, trauen wir dem direkten Zustieg nicht und latschen bis zum anderen Ende wo wir uns entlang einer Schuttreisse nach oben eiern. Dann kommen noch ein paar Schrofen, die wenigstens am Platz bleiben und schon haben wir einen echten Weg mit Punkten gefunden.

Da der zum Klettersteig führt, zweigen wir dann wieder ab und kraxeln entlang des Wandfusses wieder nach rechts, bis wir der Zustiegsrinne, sprich Dirndlschlucht, beim besten Willen nicht mehr auskommen. Das ist sicher einfacher und vor Allem kürzer auch zu bekommen. Aber mei, Alter schützt vor Unfug nicht. In der Schlucht ist es dann kühl und feucht. Kurz bevor man sich mit pickhartem Firn auseinandersetzen hätte müssen, ist auch schon der Einstieg da. Nicht ganz offensichtlich im Schluchtgrund, sondern deutlich links davon wäre sogar ein Standhaken gewesen. Den haben die hurtigen Jungspunde, die hinter uns die Schlucht hochhetzen, dann kollektiv belagert.

Die erste Seillänge gibt sich wie fast immer etwas widerspenstig. Eigentlich nicht schwer, aber komische Kletterei, halbfester Fels, überschaubare Behakung und so ganz in Schwung ist man ja anfangs auch noch nicht. Mittlerweile halte ich das für normal und lasse mich daher nicht beirren. Der nächste Stand ist somit durchaus willkommen, ab jetzt wird es besser.

In durchaus anregender Kletterei geht es mal plattig, mal wandig, mal rissig in wechselnder Schwierigkeit und durchaus kurzweilig nach oben.

Das Seil wird deutlich ausgegangen und die Stände nicht immer gemäß Topo bezogen. Das geht gut und die Überholaktionen der drei auf Hochtourenlaufenden Seilschaftenaus dem Salzburgischen lassen sich ohne relevante gegenseitige Beharkung einpassen.

Immerhin einer konnte einen nachvollziehbaren Grund für die Eile nennen. Seine Mutter würde Rouladen machen, das dürfe er sich nicht entgehen lassen. Meinen Segen hatte er. Seine Partnerin fügte sich eher mit Gleichmut in ihr Schicksal. Wir genießen die Ausblicke über hochsommerliche Schneereste in das Vorland.

So kommen wir an das Herzstück der Tour, es wird steil und die Linie ist klar. Immer anden Rissen entlang, bis man ganz oben nach rechts ausbüxen kann.

Diese Seillängen wollen veritabel erklettert werden. Die dafür hilfreichen Techniken fordern viele Körperteile, nur wenige davon werden im Hallengeschehen zur Anwendung gebracht.

Kurz ist es dann mal deutlich strenger, wir kommen ordentlich ins Schnaufen. Der Vorteil daran ist, wenn man drüber ist, freut man sich umso mehr.

Zum Abschluss ist der im Topo so eindeutig bezeichnete enge Riss natürlich eng. Jörg schimpft als Erster auf den Rucksack, ich dann auch.

Eine Seillänge Wandertag, und schon zieht der „100m-Kamin“ nach oben.

Dort ist es wie es in einem Kamin so ist. Wer nicht spreizt, hat verloren oder ist steiler unterwegs, als einem lieb sein kann. Insgesamt aber gut gangbar ohne die oft so würzigen Hinterfotzigkeiten. Meine Hüfte zwickt natürlich bei solchem Gewerkel, da ihre Zeit sowieso abgelaufen ist, wird darauf keine Rücksicht genommen.

Jetzt turnen wir noch einige Seillängen in gemächlichem Gelände aufwärts. Nett, aber wie nett halt so ist, es bleibt im Gedächtnis nichts haften. Zum Glück kommt dann der Gipfelaufbau, es wird wieder steiler. Original hatten die Erstbegeher sich nach links in einen offensichtlich grausigen Kamin verbissen. Den müssen wir nicht niederringen, denn wohlmeinende Zeitgenossen haben rechts rum eine vergnüglichere Wegführung entdeckt.

Von unten sieht das erstmal so aus, als ob man nochmal die Backen zusammenkneifen müsste. Das reichliche Griffangebot lässt den Puls aber gleich wieder sinken, nur ein kurzer, erstaunlich kräftiger Aufschwung bringt ihn nochmal in Schwung. Dafür ist sowas schließlich da.

Kurz bevor Jörg sein schon angestimmtes Lamento über die bedauerliche Bürokondition in eine Verweigerungshaltung umwidmen kann, sind wir auch schon oben.

Der Stand am Gipfelkreuz erübrigt weitere Diskussionen, der Punkt ist eingefahren. Jörg setzt noch eins drauf und stellt fest, dass gerade insgesamt 120 Jahre auf dem Dirndl stehen. So kann man das auch sehen. Immerhin leuchten die Haare, die noch da sind.

Die Aussicht ist herrlich, die Luft bacherlwarm und die Brotzeit willkommen. Der Gletscher offenbart die Absurdität menschlichen Tuns und den Gleichmut der Natur. Diese weiß nur zu gut, dass unsere Spezies nur eine kurze, wenn auch leidvolle Episode in ihrer Ewigkeit darstellt.

Genug des Trübsinns, wir genießen den Moment und schließen die Augen vor den bitteren Wahrheiten. Die letzte Gondel erreichen wir sowieso nicht mehr, also gibt es keinen Grund zur übertriebenen Eile. Runter müssen wir trotzdem.

Der Abstieg ist nicht ganz so offensichtlich wie erwartet, ein bisschen gucken muss der Ortsunkundige dann doch in nicht immer topschönem Gefels. Und diverse Generationen von Abseilmöglichkeiten finden wir auch. Wohl denen, die die Idealvariante auf Anhieb wählen. Schlussendlich kommen wir mit den Seilenden ordnungsgemäß auf dem Gletscherfirn an.

Mit dem dazu nötigen Selbstbewusstsein bringen wir auf den allzu geschmeidigen Zustiegsschuhen auch noch das übliche Schneegeeier ohne unerquickliche Rutschpartie hinter uns. Bis flacheres Gelände entspannteres Hatschen ermöglicht.

Bei der abschließenden Querung zur Seethalerhütte ist der Weg mit Bedacht zu wählen, auch hier bestehen vielfältige Möglichkeiten unverhofft in tiefe Löcher zu fallen. Wir wollen lieber zum Bier und nehmen diese somit nicht wahr. Glück gehört zum Leben dazu. Ohne es zu wissen, ist nach langjähriger Schließung die Hütte seit genau dem Tag, an dem wir dort eintreffen, wieder bewartet. Daher wird unser Traum vom Bier wirklich wahr.

Mit der besänftigenden Wirkung des Alkohols und der wohlig milden Abendsonne ist sogar auch der anfangs noch kurz in Frage gestellte Entschluss, von einem Abendessen und einer knieschonenden Lagernacht in der gastfreundlichen Behausung, Realität. Und dann nicht irgendeine. Was für ein Abendessen und was für Wirtsleute! Authentisch, herzlich, engagiert. Chapeau, Respektund höchste Hochachtung. Schlicht ein Danke. Tags drauf ist erstmal Sauwetter. Uns kanns wurscht sein. Das Frühstück und den Vortag nimmt uns sowieso niemand mehr.
