Alpine Klassiker — C. Alto Bosconero
Auch wenn man schon oft wo war, kommt man immer wieder wo hin, wo man noch nicht war. Zum Beispiel in die Bosconero-Gruppe. Dieser dolomitische Schwarzwald liegt einfach auf der Landkarte immer ein bisschen zu weit rechts unten. Außerdem bleibt man zu gerne vorher in der Pala hängen. Aber es hilft nichts, wer wo sein will, muss auch wo hin. Außerdem ist es immer schön, wenn man wo ist. Besonders wenn es wo schön ist.
Natürlich waren wir vorher in der Pala, wenn man schon mal wo ist. Aber der dort gepflückte Buhlriss ist eine andere Geschichte.
Jetzt sind wir hier im Val di Zoldo. Es ist heiß, wie so oft in diesem Sommer, und wir suchen eine Stelle, an der wir zum Fluß herunter kommen. Wir finden sie und kühlen uns ab. Noch ist alles ganz nett, aber noch nicht richtig gut. Dann geht es zum Parkplatz vor dem Stausee von Pontisei, der ist eher hässlich. Etwas seitab kann man aber die Autos mit Schatten abstellen, das ist schon besser. Wir laufen los und tauchen bald in einen nicht nur wegen des Schattens wunderbaren Wald ein. Der Weg führt abwechslungsreich nach oben, die Temperaturen sind angenehm und so geht es einige Zeit, trotz üblichen Gepäcks, stressfrei dahin. Bis ich nichtsahnend um eine Ecke biege und eine mittelalte Dame mit spitzem Schrei ihre nicht unerhebliche Blöße zu bedecken versucht. Das ganze Arrangement in einem kleinen Bachbett stehend, wie mir der zweite, intensivere Blick offenbart. Ich grüße und eile lieber von hinnen. Kurz darauf kann ich wieder an andere Dinge denken und es öffnet sich eine grandiose Lichtung, in der die Capanna Bosconero wie in einem Märchenensemble platziert ist. Dahinter ragt auch gleich die Wand in den Himmel, die das eigentliche Objekt der Begierde ist. Es gibt so Orte, die einfach einen Idealzustand darstellen. Punkt.
Wellnesstempel im Schwarzwald
Ich streife den Rucksack ab, wische den Schweiss von der Stirn und genieße einfach den Augenblick, herrlich. Irgendwann kommen dann auch Kathi und Vali an und freuen sich ebenfalls daran, dass es hier so ist, wie es ist. Allerdings war bei denen die erwähnte Dame schon bekleidet. Später stellt sich heraus, dass das besagte Bachbett die hauptamtliche Dusche der Cap. Bosconero ist, die für solchen pseudohygienischen Firlefanz vor Ort schlicht zu wenig Wasser hat.
Wir checken ein und Monica, die Hüttenwirtin, unverkennbar trotz ebenfalls Mittelalter weiterhin drahtigtopfitte Kletterin, zeigt uns unsere Lager. Liebevoll mit Bettbezug und allem drum und dran. Besser geht es nicht. Nach dem ersten Bier gibt es prächtiges Abendessen (Zucchinirisotto, Brasato/gebratener Käse mit Polenta, Crostata), alles frisch und selbstgemacht. So wie die diversen Schnapsessenzen, die wir durchprobieren und alle für empfehlenswert erachten. Nebenbei bemerkt kostet das Ganze weniger wie nicht mal ansatzweise Vergleichbares z.B. auf der Pradidalihütte. Diese war kurz vorher und daher inflationsbereinigt für ein TAB in Anspruch genommen worden. Mit dem Unterschied, dass hier alles per Rucksack raufgebuckelt wird und an der Pradidali eine Materialseilbahn ihr motorisiertes Unwesen treibt.
Karge Hausmannskost
So geht es uns ausnehmend gut, wir melden uns um halb fünf zum Frühstück an und gehen dann gemütlich schlafen.
Sonniger Abendgruß
Morgens erwartet uns nicht, wie erwartet, eine öde Thermoskanne, sondern bestens gelaunt Monica, die uns umsorgt und jedem in seiner ganz persönlichen Napoletana frischen Kaffee macht. Und das um diese Uhrzeit. Nachdem sie sicherlich am Abend vorher als Letzte das Licht ausgemacht hat. Das nenn ich Herzblut und das spürt man dort an allen Ecken und Kanten.
Zurück zur Tour. Wir machen uns zufrieden auf den Weg, es ist noch dunkel, die Wegfindung aber leicht. Zwei andere Gesellen sind auch schon so früh unterwegs. Der Eine (bekleidet wie das Sportiva-Werksteam) stellt sich als der Bergführer heraus, der Andere (bekleidet wie das Arcteryx-Werksteam) als Kunde. Sie haben sich die Martini-Route vorgenommen, die mit unserer, der Navasa, die ersten Seillängen gemeinsam verläuft. Dann aber bald, vor allem nach oben hin, in deutlich herberes Gelände mit bitterem Technogebastel führt.
Freundliche Menschen am Einstieg
Wir haben Zeit und es ist kein Staustress zu erwarten. So lassen wir ihnen den Vortritt und munter plaudernd werkeln wir uns gemeinsam den Vorbau hinauf. Da es schon hell ist, kann die Hirnbirn im Säcklein verschwinden. Beim Standplausch erfahren wir von besagtem Guida, dass wir mit der anhaltend trockenen Großwetterlage Glück hätten. Im Vorjahr mit seiner feuchten Grundstimmung, hätte man hier keine der Touren mit Anstand klettern können, der flechtenbewachsene Fels sei schlicht zu schmierig gewesen.
Vali zeigt mir, wo es lang geht
Die Beiden biegen bald nach rechts und wir nach links ab und so sind wir auf uns allein gestellt. Da wir zu dritt sind, muss man sich im Vorfeld einigen, wer was wann macht. Diesmal darf Vali den ersten Teil führen, mir fällt das Weitere zu und wenn ich mich bzw. wir beide uns dabei zu blöd anstellen, gibt Kathi das souveräne Backup. Denn für blöd ist sie zu blond.
Stand für Häkelfreunde
Wie so oft bei größeren Touren, ist bei den diversen Topos Licht und Schatten nah beieinander. Auch dasselbige der selbstlobtriefenden Topoguidler macht da leider regelmäßig keine Ausnahme. Was keine größere Erwähnung wert wäre, hätte man sich durch eigenes Anspruchsdenken und vor allem Schmähgesänge auf die Konkurrenz nicht selbst die Fallhöhe maximiert. Dabei gibt es just hier von Altmeister Goedecke eine prächtige Vorlage in Wort und Bild, wenn auch verbesserungswürdig in Skizze. Da sollte man in Nachfolgewerken doch nicht einfach eine Seillänge zwischendrin unterschlagen, ist ja schade drum. Wer es genau wissen will, sollte rund um die 12. Seillänge einfach eine weitere einflicken und sich schräg nach rechts halten. Dann ist man wieder auf der Spur. Und in der letzten SL nicht topoguidegemäß den verlockenden Haken entlang bis zum erwähnten Zwischenstand nach links folgen, sondern vorher einfach da, wo es gerade gut geht, nach oben durchstarten. Dafür ist im roten Alpenwälzer des Frankenduos lobenswerterweise die den Seilquergang vermeidende Direktvariante passgenau vermerkt. Brav. Genug der Mäkelei, wir haben Spaß.
Vali auf der Suche nach dem Spaß
Es folgt ein Kaminriss und eine gestufte Wandseillänge zum Warmlaufen. Betriebstemperatur ist nicht schlecht, denn dann stehen wir unter einer gewaltigen gelben Verschneidung, die oben von einem Dach gekrönt wird. So respekteinflößend grausig, wie sie zunächst ausschaut, ist sie aber gar nicht. Man muss schon hinlangen und ordentlich klettern. Aber es gibt ausreichend feste Griffe und keinen einleuchtenden Grund, von den wackligen welche mitzunehmen.
Das Dach zeigt, wo Schluss ist
Kaum ist man richtig in Fahrt, haut man sich den Schädel am abschließenden Dach an. Da geht es, zumindest für den vorgegebenen Tarif, nicht mehr weiter. Der Stand ist beengt, der Ausweg führt nach links.
Körperkontakt am Kuschelstand
Ein herrlich ausgesetzter Quergang mit ein paar kräftigen Zügen steht nun an. Vor allem aber stecken die Haken vom früher üblichen Leiterlspiel so hoch, dass man sich zum Ein- bzw. Aushängen ordentlich strecken muss.
Erst Strecken…
Ist das geschehen, kann man sich ein Stockwerk tiefer an rundlichen Auflegern gut nach links weiterarbeiten und ist gerade mal 15 m später eigentlich auch gleich vorbei. Was eine ordentliche Pulserhöhung nicht verhindert.
… dann Dolomitenyoga. Es bleibt einem wirklich nichts erspart.
Vali greift noch einmal eine feine Wandstelle an und am darauffolgenden Band können wir bequem das Seilende wechseln.
Feine Abschlusslänge zum Wechselband
Ein Riss führt zu einer Verschneidung, die nicht ganz so mächtig auftritt wie die vorhergehende. Dafür etwas diffiziler zu klettern ist. Zum Ausgleich sind dort haufenweise Rostgurken untergebracht, die in der Fülle ein angenehmes Gefühl vermitteln. Ganz oben darf man sich kräftig nach rechts rausschieben und an einem bequemen Stand zur Regeneration Position beziehen.
Auf dem Weg Richtung Verschneidung
Kaum hat die Jugend nachgezogen, darf ich mir wieder mal anhören, wie katastrophal meine Bekleidung sei. Meine bevorzugte Farbrichtung (in meines Erachtens überwiegend edlem Braun, seriösem Grau und dezentem Beige) könne man nur als leberwurstfarben definieren und sei nicht akzeptabel. Auf etwaigen Fotos sei man damit schlicht nicht erkennbar undsoweiterundsofort. Ich mach, dass ich vom Acker komm, wenn die sonst keine Probleme haben, meiomei.
Kurz geht es nach rechts, nicht geradeaus über das Dächlein (das wäre wohl der KCF-Weg) und da, wo man früher wohl einen Pendelquergang einlegen durfte, wird heutzutage einfach schräg nach links direkt über die Wand geklettert. Es gibt sogar einen Haken und richtig schwer ist es eigentlich auch nicht. Man muss sich erstmal nur ein bisschen trauen.
Suchbild mit getrauter Leberwurst
Der weitere Weg ergibt sich fast von alleine über Wändchen, und entlang Risslein. Eine logische Linie nennt man das in der Regel. Immer wieder findet man Haken, die einen in seiner inneren Logik bestätigen. Immerhin war da schon mal jemand vor einem unterwegs.
Kathi freut sich, logisch.
Lediglich die letzte Seillänge zum Ausquerband hat es nochmal in sich. Irgendwie verwickelt und anfänglich auch nicht gerade gut absicherbar wurschtelt man sich keinesfalls trivial nach oben. Dann gibt es einige Haken, die man gerne zur Nervenberuhigung in Anspruch nimmt und die einen unmissverständlich nach links führen. Aber besser nicht zu weit, denn dann steht man an einem Stand, der nicht so richtig weiterführt, quasi senza uscita. Also das Ganze doch wieder zurück, nicht unkomplex, und an einer Art Schuppe direkt nach oben. Diese Stelle ist zwar hakenlos, aber durchaus brauchbar kletterbar und ein kleiner Cam hält immerhin sein Eigengewicht inklusive Exe.
Komplexer Fels
Das sollte man also besser gleich so machen und die unnötige Linksschleife aussparen, auch wenn die Haken einen noch so verlockend anlachen. Denn dann kommt man schneller zum zwar niedrigen, dafür breiten Band, wo der Stand ist. Und wo für uns, wie für die Meisten, auch Schluss ist. Die drei Seillängen, die etwas weiter links noch endgültig Richtung Gipfel führen, sind nach Auskunft von Monica von erlesener Brüchigkeit und ausgesucht unlohnend. Ein echter Gipfelsammler muss sie wohl zweifelsohne hinter sich bringen. Wir ziehen einen trockenen Abstieg vor. Das Wetter macht auf ungemütlich und rät zum baldigen Aufbruch. Die gymnastikerprobte Jugend darf erstmal die Seile aufschießen. Ich halte mich bei diesen beengten Raumverhältnissen mit meinen alten Knochen zurück, um den drohenden Gelenkschaden zu vermeiden.
Gelenkschonende Arbeitsverteilung
Das Band führt schottrig nach links und nach anfänglichem Kriechen darf man auch wieder aufrecht gehen. Die Abstiegsschlucht ist nicht zu verfehlen. Den besten Weg darf sich jeder selber suchen und je nach Stimmungslage hin und wieder Abseilen bzw. an Seilresten abwärts hangeln. Ein bisschen Zurückhaltung ist angesagt, denn alles was man lostritt, trifft etwaig Untenstehende. Wie eigentlich immer bei Dolomitenabstiegen, es soll nur einfach mal wieder gesagt sein.
Abschlussgeschluchtel
Früh im Jahr liegt hier wohl oft auch jede Menge Schnee, der je nach Temperatur und Tageszeit mal hart, mal ordentlich weich sein kann. Damit gilt es dann angepasst umzugehen. Aber jede Schlucht hat auch ein Ende und dann führen Schotterreisen und Pfadspuren weiter. Wir lassen uns wenig Zeit dabei und würdigen den Einstieg und dem Wandblick zurück nur kaum.
Farbenfroher Modeprinz im Abstieg
Die heranstürmenden Wolken sprechen eine eindeutige Sprache. Und so kommt es, wie es idealerweise kommen muss. Kaum dass wir durch die Hüttentüre gehetzt sind, bricht ein Unwetter vom anderen Stern los. Was wir gemütlich im Gastraum bei selbstgebackenem Kuchen und vitalisierendem Getränk aushocken.
Schließlich müssen wir und dann doch aufraffen, rundrum zufrieden zusammenpacken und mit dem festen Vorsatz wiederzukommen ins Tal schlendern. Was für ein Stress!
Trockenraum macht Laune
facts:
Cima Bosconero Alto, 2281 mNN, NO-Wand „Navasa“
Erstbegehung M. Navasa, C. DalBosco und F. Baschera am 22. — 27.6.1965
Ca. 550 m Wandhöhe, ca. 650 m Kletterlänge, 17 SL, immer wieder 5 und 6, im Dachquergang und evtl. in der zweiten Verschneidung mal kurz 7-.
Zustieg von der Bosconerohütte über guten Steig bis zum Wandfuß (ca. 1 h).
Abstieg mässig markiert, aber gut aufzufinden. Mit etwas Abseilen relativ entspannt, bei hoher Schneelage evtl. mit Wühlerei garniert.
Absicherung vor Ort dolomitentypisch mit diversen Schlaghaken unterschiedlicher Güte, wo es schwerer wird, steckt in der Regel genug. Teilweise kann und sollte nach gusto ergänzt werden. Dafür sollte man das übliche Sortiment Keile, Cams sowie ausreichend Schlingen, auch zum Verlängern, mitnehmen.