Datum: 07./08.08.2013
Wer war dabei: Kathi, Vali, Sebi
Gipfel/Berggruppe: Monta Agnèr/Pala
Name der Tour: Nordkante
Art der Tour: Alpinklettern
Erstbegehung: Celso Gilberti & Oscar Soravito 29.8.1932
Facts: Stellen 6, auch viel leichteres Gelände
Viele Seillängen: 1600 Hm Kantenhöhe, rundumadum 2000 m Kletter/Kraxelmeter
Zeit: je nach Verhältnissen und Rennbereitschaft
Material: wohlausgewogenes Nut-und Camsortiment. Genügend Schlingen. Im oberen Teil Unterstützung durch ausreichende Normalbehakung. Je nach Routentaktik mehr oder weniger Biwakzeug, Grundausstattung auf jeden Fall sinnvoll
MONTE AGNER — NORDKANTE, GOURMETMENU FÜR KLASSIKFREUNDE:
Aperitiv Zustieg
Amuse geule Schuttrinne und steile Waldpassagen
Saftiges Grünzeug
Bröseliger Streuselkuchen
Knackwurstriss zum Kauen
Paradebiwak als erholsamer Zwischengang
Prächtiger Schlemmerfels
Ausgedehnter Verdauungspaziergang
Wieder mal treiben wir uns inder Pala herum. Wer schon mal dort war, weiß warum. Wer nicht, hat was verpasst. Nicht mehr und nicht weniger. Wir sind jedenfalls nicht ganz irgendwo, sondern zunächst im Val Canali. Da ist es nicht nur schön, sondern besonders schön, measogined. Nachdem wir genüsslich unsere Dauerläufereignung an der Pala del Rifugio incl. Sass D’Ortiga unter Beweis gestellt hatten, stellt sich bei der obligatorischen abendlichen Pastaparty die Frage nach dem Plan. Es ist Sommer, warm, die Tage sind lang, also darf es ruhig noch länger sein. Nina will mal biwakieren, ich bin aus der Generation der Pausegetriebenen und Vali ist das alles nur recht. Also Agnerkante. Der Monte Agnér ist 2872 m hoch, der Ausgangspunkt am Fuße der Nordkanteliegt bei etwa 1250 m NN, den Rest kann sich jeder selber ausrechnen. Für den, der nicht mal das schafft, reicht als Ergebnis: Man hat zu tun. Tags drauf wird erstmal der Wetterbericht gecheckt, frische Pasta besorgt und auf dem Weg in das Val San Lucano ein Auto unserer Privatflotte in Frassené parkiert.
Dass wir den Luxus zweier motorisierter Gefährtevor Ort betreiben, liegt am Generationensprung. Die beiden Jundspunde treiben sich als vorlesungsfreie Studenten nämlich schon länger in den Gefilden herum.Und wenn ich dann schon längst wieder weg bin, natürlich noch länger. Ich unterbreche meine Erwerbstätigkeit urlaubstagszählend deutlich zeitschonender und schaue gelegentlich bei dem jugendlichen Treiben alleindieselnd auf eine Stippvisite vorbei. Das bietet neben der Beflügelung des Klimawandels eben auch mal solche Möglichkeiten.
Der Ausgangspunkt ist klar beschildert, damit steht der Schlafplatz fest. Die kurz davor erworbenen, auf unterschiedlichste Weise deliziös gefüllten Gnocchi und Ravioli schaffen eine wunderbar mundende Grundlage für das kommende ultraklassisch alpine Gourmetmenu.
Um dessen einzelne Gänge in aller Ruhe angemessen genießen zu können und um den schon erwähnten individuellen Wünschen nachkommen zu können, wird als Verdauungszäsur ein Biwak an der Kante vorgesehen. Angenehme Begleiterscheinung dieser Zweiteilung ist, dass man auf allzufrühen Aufbruch mit Nächtigung im Cozzolinobiwak verzichten kann. An den Plan angepasst wird zwar der Rucksack etwas aufgedoppelt, aber die sonst anstehende Hechelrennerei im Steilgelände vermieden.
Am Morgen erweist sich die auf der Tafel am Eingang in das Gourmetparadies angeschlagene Speisekarte als übersichtlich, dafür zeigt sie unmissverständlich den Weg.

Die restliche Speisefolge orientiert sich sowieso an den regionalen Spezialitäten. Der Aperitif ist,wie so oft, ein schweisstreibender Zustieg.

Sauber von unten nach oben angerichtet. Nach der Bachüberquerung erst flacherer Wald, dann steilerer Busch, dann noch steilere Schuttdrecksrinne, getoppt von endssteilem Wald. Das bringt das Blut in Wallung und steigert die Vorfreude.

Damit wir wissen, dass es jetzt so richtig losgeht, nehmen wir unser Besteck in die Hand, binden uns ein und der Topf kommt auf den Kopf. Das amuse geule bildet steiler Fels mit saftigem Gras und duftenden Latschen. Durchsetzt mit samtenem Moos und fruchtbarem Humus. Sicher nicht das, was man aus Hochglanzbroschüren als Steilwandkletterei kennt. Aber die Bewegungsabläufe sind doch klettertypisch, nur die Griffe und Tritte halt nicht immer Fels. Dafür bekleckert man sich mit Harz und polstert die Kletterschuhe mit Humus.

Wer unbedingt will, kann sich auch ohne großen Entfernungsaufwand von allem, was so rumliegt, ordentlich was für später mitnehmen. Man kann aber auch gut alles an Ort und Stelle lassen, dann fällt auch nichts runter. Nach einiger Zeit sind wir mehr am Grat, wo mehr Felsen in das Gemüse eingestreut sind. In einem gefühlt wenig effizienten Auf und Ab gewinnen wir doch an Höhe. Die Begehungsspuren sind deutlich, dafür kaum Sicherungen hinterlassen, was aber nicht weiter stört.

Schließlich bäumt sich doch so etwas wie eine Wand vor einem auf. Nach einer schuttigen Querung leitet ein fragiler Risskamin in einen hellgelblichen und herrlich mürben Streuselkuchen über, der höchst subtiler Berührung bedarf. Da eh nichts halten würde, steckt auch nichts. Ein eigenartiger Genuss, der die Sinne wieder ordentlich auf Zack bringt. Eher was für Kenner, die Überraschungen in der Speisefolge anerkennend zur Kenntnis nehmen. Der erlösende Stand darf auch nicht zu fest angeschaut werden. Ursache für dieses einprägsame Vergnügen ist ein offensichtlicher, wohl halbfrischer Bergsturz. Nach diesem Zwischengang wird es aber wieder fester und familienverträglicher.
Munter geht es mit mehr Wand als Wiese weiter und schließlich landen wir auf einem herrlichen Almrauschfeld, an dem an würdiger Lärche Stand gemacht werden kann. Und vor allem die verdiente Brotzeit. Hier wäre zwar auch ein prächtiger Biwakplatz, aber es ist noch recht früh am Tag und so richtig entscheidend hilft einem dieser auch nicht weiter, denn es bleibt noch einiges zu tun.
Nach ausgiebiger Jause lässt man das Gemüse abschließend hinter sich, ab jetzt wird nur noch mit Fels gekocht.
Wir verlassen die gemütliche Wiese und nach kurzer Querung stehen wir vor dem nächsten Aufschwung. Und müssen uns für den passenden nächsten Gang entscheiden.
Das topoguidetopo spricht vom mittleren Riss, ich zähle schnell bis drei und nehme den in der Mitte.
Immerhin hängt da etwas weiter oben als Entscheidungshilfe um einen kleinen Klemmblock deutlich eine Schlinge. Bei näherer Ansicht entpuppt sich deren grauschwarzer Teint jedoch nicht als Originalfarbe, die war wohl eher ein Weiß. Also doch lieber was Eigenes, Frisches darübergefummelt. Das ist auch gut so, denn ab da entpuppt sich der schulterfaustbreite Riss als glättlich rundlich und nicht ganz trivial. Der wachsenden Unruhe entgegnet man bzw. ich in diesen Fällen leider oft durch raupenartiges Hineinkriechen. Das schenkt zwar trügerische Sicherheit, aber wer gut steckt, kommt meist nicht weiter. Ein 2er Cam verleiht mir den nötigen seelischen Auftrieb und mit Geschnaufe und Gepresse geht es dann doch erst weiter raus und dann steil nach oben. Dass so eine Knödelwurstelei nicht unbedingt sein muss, zeigt die deutlich entspanntere Technik der Nachsteigenden auf.

Die Sicherungsmöglichkeiten sind überschaubar, aber gerade als elementare Zweifel am Feintuning der Routenwahl aufkommen, gibt eine Megasanduhr einen prächtig luftigen Stand, an dem wir uns dann alle kuscheln.
Von hier aus geht rechtshaltend ein lästig aussehender Kamin nach oben. Ich für meinen Teil habe erstmal genug von Knackwurstrissen und gebe dementsprechend meinen Senf dazu. Links die Wand ist eindeutig kein Kamin und leitet ein bisschen knifflig, dafür hakenfrei,ebenfallszum nächsten Stand. Und damit wohl wieder zur Standardroute. Denn hier kann man sehen, dass der Riss, den ich als mittleren erachtet habe, in der einschlägigen Literatur wohl gar nicht als solcher gilt und der von mir als rechter erkannte, eigentlich der mittlere gewesen wäre und der wohl eigentlich rechte, noch weiter drüben verläuft. Oder so. Wie dem auch sei, das Ergebnis ist dasselbe, wir müssen weiter.
Und das geht in munterer Kletterei bis auf einen Gratkopf, wo man Stand macht. Weil es da nicht weiter geht, muss man an der anderen Seite runter und drüben wieder rauf. Und nochmal rauf, ab und zu mal rüber, Hauptsache weiter. So richtig eindrückliche Stellen fehlen, aber es wird in gediegener Hausmannskost immer ordentlich geklettert und man kann in die schön angerichtete Berg-und Talwelt schauen. Kaum hat man langsam das dringende Gefühl, es könnte für heute genug sein, kommt man auch schon zum letzten Gang des Tages, dem Absatz vor dem Gipfelaufbau.
Hier gibt es diverse prächtige Biwakplätze, der privilegierteste liegt wohl direkt auf einem vorgelagerten Gratabsatz. Da haben knapp zwei Menschlein luftig Platz, wir sind aber drei. Und alleine ist man auch nicht gern. Daher bleiben wir auf der Luxusterrasse direkt am Stand, wo es am nächsten Tag auch weitergeht. Die für die Allgemeinheit hinterlassenen dürren Mättchen werden erstmaldurch die selbst mitgebrachten souverän ersetzt und schon steht einem Dreisternebiwak nichts mehr im Weg.

Eigentlich bräuchte es nicht mal das Geländerseil zur Sicherung, so wohnlich ist es da. Aber die Gewohnheit siegt und es passt zur gemütlichen Filzpantoffelstimmung. Wir schalten den Fernseher an und schauen in das spannende Schauspiel der gewaltigen Gewitter, die an Marmolada und Civetta ihr Unwesen treiben. Weil wir nicht dort sind, sondern hier, decken wir mit allem, was wir haben, den Tisch und genießen zu dem Lichtspektakel entspannt unsere Brotzeit. Lediglich das abgestandene Getränk trübt mit leichtem Plastikunterton im Abgang den Hochgenuss.

Kathi gefällt ihre Biwakpremiere und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Das Grinsen wird sogar noch breiter, als der Schlafsack ausgepackt ist. Als es dann dunkel ist, gibt es ein Gute-Nacht-Lied, ein bisschen Sternengucken und dann wird geschlafen. Zumindest nachdem die Nagegeräusche der nachtaktiven Mäuse verdrängt sind. Es ist zwar lustig, sich auszumalen, was sie sich alles an sicherheits-bzw. überlebensrelevanten Dingen zu Gemüte führen könnten. Aber das fördert nicht gerade den seligen Verdauungsschlaf. Was wollen die überhaupt da droben? Auch egal, Hauptsache gute Nacht.

Morgen ist, wenn es hell wird und wenn man sich wieder bewegen mag. Oder muss, weil man muss.

Das Frühstück ähnelt dem Abendessen und für das weitere Programm war schon frühzeitig die Bestellung abgegeben worden. Nachdem ich am Vortag altersgerecht den Weg durch Kraut und Rüben suchen durfte, soll sich heute Vali das Filetstück schnappen und ich kann Pause machen. Mit jugendlichem Elan läutet er am scharfen Ende die modernen Zeiten an eisenfestem Steilgemäuer ein. Die Kletterei lässt nicht viel Zeit zum Aufwärmen und Dehnen, sondern gibt sich gleich klassisch mit Anspruch. Wir habens derweil am Stand recht lustig.

Denn es bleibt ab jetzt durchgehend ausnehmend genussvoll mit verlässlichem Fels und auch die Hakendichte zieht merklich an. Vergleichsweise. Denn das heißt nicht, dass man nicht weiterhin ordentlich für sich selber sorgen müsste und sollte, wenn es denn geht. Steil genug ist es ja. Die Schlüsselstelle ist nach kurzer Rechtsquerung ein deutlicher Riss, der kräftig geklemmt werden will. Was gut geht, wenn man es kann.

Nur soviel dazu: wer diesen Rechtsschlenkerer trotz im Fels eingemeisseltem Pfeil verpasst und gleich blind nach oben stürmt, darf sich offensichtlich unerfreulich über zähes Plattengelände mit Hilfe zerfranster A0-Drusel wieder in den besagten Riss zurückschwindeln. Also lieber gleich rüber. Vali hat das brav gemacht und verschwindet also erstmal ums Eck. Zum Glück hat er seine Nackenrolle dabei, die sieht man noch, wenn er weg ist. Spaßig ist das schon, wie sie lustig in die Höhe tanzt. Ihn hört man mehr. Prusten. Aber nicht vor Lachen. Macht nix, oben ist oben.

Ab dann geht es in abwechslungsreicher Folge immer schön steil nach oben. Löchrige Wandstellen, griffige Überhänge, prächtige Risse, wunderbar. Eine erlesene Zusammenstellung mit tiefem Verständnis für stimmige Geschmackskombinationen. Gäbe es diesen Gipfelaufbau alleine mit kurzem Zustieg, wäre er sicher eine überlaufene Modetour mit den ganzen abgespeckten und sonstigen Begleiterscheinungen. So haben wir ihn in Idealzustand für uns. Ein würdiges Dessert für ein grandioses Menu. Trotz andersgearteter Informationen in diversen Führerwerken, finden sich auch hier immer wieder brauchbare Biwakplätze. D.h. wer den unsrigen verpasst hat, kann auch weiter oben ggf. noch sein Glück finden, wenn auch zugegebenermaßen nicht so luxuriös.

Irgendwann, und das ist fast schade, legt sich das Gelände zurück und nach den üblich lästigen Ausstiegsschrofen steigt man auf ein Schuttfeld aus. Da kann man das Seil wieder schultern und schottert an einem Schneefeld vorbei zum Normalweg. Da scheidet sich der Alpinist vom Kletterer. Für Ersteren ist ein Berg ohne Gipfel wie ein Casanova ohne Z####l (O‑Ton Huberbuam). Dem Letzteren ist das wurscht und er haut gleich ab rüber zur Biwakschachtel, respektive dem Abstieg. Das geht natürlich gar nicht und so bringen wir schnaufend als Digestif die dann doch länger als erwartet dauernden Meter zum Gipfel hinter uns. Der bietet Platz zum Schauen, Liegen und Faulenzen.

Aber in den Bergen ist das so, was man sich raufwerkelt, muss man letztlich irgendwo und irgendwie auch wieder runter. Das geht in Ermangelung einer technischen Hilfe halt nur per pedes. So gemütlich es da heroben ist, so schwierig ist es, sich zum Abstieg aufzuraffen. Auch das beste Menu muss mal nach unten, dass man es hinter sich lassen kann. Den Anfang kennen wir ja schon und da,wo der Steig für uns Neuland ist, geht es links und an der Blechschachtel des Bivacco Biasin vorbei. Diese dürfte für die Allermeisten der Eintageskantenaspiranten willkommene Schlafstatt sein. Wir gucken kurz rein, sehen keine Theke und haxeln daher gleich weiter über Geschröf linkshaltend nach unten.

Das nimmt natürlich auch erstmal kein richtiges Ende und dauert. Was Füße und Knie eindeutig zurückmelden. Ihrer Meinung nach haben wir uns eindeutig überfressen. Aber die Hoffnung auf ein kühles Hopfengetränk hält uns aufrecht. Der Trott wird zur Meditation, das Bild schaumigen Gebräus in betautem Glas vor dem inneren Auge. Aus diesem Nirwana sollte man sich jedoch rechtzeitig vor dem abschließenden Firnfeld ins Diesseits beamen. Da ist es angebracht, zur Schonung von Gewand und Haut tunlichst auf rohen Eiern tanzend, Kerben zu hacken und Fehltritte oder Rutschpartien zu vermeiden.

Ist man dann wohlbehalten am Rifugio Scarpa angekommen, hat man das unaufgeräumte Gelände hinter sich. In der ausnehmend freundlich bewarteten Hütte gibt es erst die übliche lemonata und dann das zwangsläufige TAB, das hier als birra alla spina grandegeordert werden will. Dafür ultimativ ins dehydrierte System schießt. So beschwingt dackeln wir anschließend zunächst entlang des Skiliftes und dann monotonissimo über den Forstweg ins Tal. Bis in Frassené Valis treuer Polo auf unswartet. Und uns zwar klimaökologisch unverantwortlich, dafür herrlich bequem zum zweiten Vehikel am Ausgangspunkt unserer Tour zurückkutschiert. Und einen weiteren Ruhetag wohlig einläutet, an dem wir schon die nächste Speisekarte eingehend studieren.
